Ein Dorf in Mittelfranken |
Es ist ein Samstag Ende Mai und ich schreibe gerade meinen Einkaufszettel. Der Wocheneinkauf muss noch erledigt werden.
Im übernächsten Dorf gibt es einen sehr kleinen Supermarkt. Es ist irgenwie der Ableger eines der großen bekannten Discounter. Jedenfalls hat er die Marken und das Sortiment dieses großen Verwandten. Angegliedert ist ein kleiner Getränkemarkt.
Klein ist alles hier, von den Einkaufswägen bis hin zu den Gängen zwischen den Regalen. Und doch erstaunt es mich immer wieder, dass ich dort alles bekomme, was ich zum Kochen und Backen so benötige. Die Utensilien für die Hausarbeit genau wie meine gewohnten Zeitschriften erhalte ich hier ganz in unserer Nähe.
Ist dieser Supermarkt nur klein oder auch anders? Na klar ist es hier anders, wir sind ja am Land auf dem Dorf. Und genau für alles das was hier anders ist, liebe ich das Landleben so sehr.
Ich fahre also mit dem Auto die schmale Straße durch Wiesen und Felder und über einen Bach. Dann kommt der unübersichtliche Buckel bei dem man im Auto das Fahrstuhlgefühl bekommt, wenn man ihn zu schnell nimmt. Werden heute eigentlich Straßen auch noch so gebaut?
Im Ort angekommen fahre ich am Kindergarten vorbei und biege ab. Ich passiere eine große Gaststätte, die leider für immer geschlossen hat. Es rentierte sich nicht mehr. Dann komme ich an der ehemaligen Bank vorbei. Ein Automat übernimmt fast den kompletten Bankbetrieb. Die Tankstelle gibt es nicht mehr, nur das Dach erinnert noch daran, daß hier einmal Zapfsäulen standen.
Bei aller Freude über das romantische Landleben, muß man natürlich leider auch gerade diesen Tatsachen ins Auge blicken. Früher war hier mehr los.
Jetzt stehe ich vor meinem Super-Märktchen und da fällt mir ein, dass ich ja vor allem über die noch immer schönen Seiten des Landlebens sprechen wollte.
Direkt vor dem Markt haben sechs Autos Platz. Werden es mehr, so kann man auf der anderen Straßenseite bequem parken. Ich hole mir einen Einkaufswagen. Wie noch immer gewohnt, habe ich den Einkaufschip vom Schlüsselbund in der Hand. Ach ja, ich vergaß wieder. Hier braucht man das nicht. Man nimmt einen Wagen aus dem Unterstand und gut. Dass man ihn nach dem Einkauf auch wieder dort hin bringt, ist doch eigentlich selbstverständlich.
Leergutrückgabe ist heute dran. Die ganzen Feiern im Mai haben einiges davon übrig gelassen.
Mit meinem Wagen schiebe ich durch die Eingangstüre und bleibe hinter der Kasse stehen. Ich weiß, die Kassiererin hat mich bemerkt und zieht nur rasch noch die letzten Waren vom Kunden an der Kasse übers Band. Jetzt bin ich dran, sie dreht sich kurz um, wirft einen verstehenden Blick auf mein Kästen und einzelnen Flaschen. Schon habe ich einen winzigen gelben Zettel in der Hand. Darauf notiert sind meine zurück gegebenen Schätze. Die Zeichen darauf sind für mich nicht entzifferbar, was ja auch nicht notwendig ist. Später an der Kasse kann sie schon ihre Handschrift wieder entziffern. Das weiß ich.
Man schiebt hier nicht die leeren Flaschen und Kästen in anonyme Automaten, die immer nur Piepen, weil etwas nicht stimmt. Hier piept nichts. Dafür erfährt man bei Fehlware in deutlichem Fränkisch, dass man den Kasten hier nicht gekauft hat, weil sie diese Sorte oder Marke nicht führen. Daher können sie ihn auch nicht zurück nehmen. Das Piiieeep im Automaten ist zwar kürzer, aber das Ergebnis das Gleiche. Man nimmt den Kasten halt wieder mit nach Hause.
Meine Kästen haben die Kontrolle erfolgreich durchlaufen. Nach Erhalt des Zettels stelle ich sie "da irgendwo" ab. Wenn es zu voll wird, kommt eine Mitarbeiterin und karrt alles nach draußen. Ich bestücke jedenfalls meinen Wagen wieder mit Getränken. Mit dabei ist meine Lieblings-Biersorte aus der Brauerei vom Nachbardorf in der anderen Richtung unseres Heimatdorfes.
Heute Abend sind wir auf dem 60. Geburtstag eines Stammtischbruders geladen. Im Dorfgemeindehaus ein paar Orte weiter, das für solche Festivitäten gemietet werden kann, findet es statt. Schon länger ist vereinbart, dass ich einen Spätzlesalat mit bringe. Das ist so üblich. Jeder bringt etwas mit vom Salat bis zum Kuchen. Getränke und Hauptspeisen besorgt, wie bei jedem Geburtstag, Jubiläum oder Silvester der jeweilige Gastgeber.
Ich brauche also noch Tomaten, weil meine natürlich noch nicht weit genug sind. Frühlingszwiebeln, weil die bei mir nicht wachsen wollen und einiges anderes. Mehl ist auch dabei, sehe ich auf meinem Einkaufszettel und zucke zusammen.
Ein Stück weiter an der Metzgertheke begrüßt die Verkäuferin den Gerd, "na seider heit a aweng am schaffn? (Und? Arbeitet ihr heute auch?) kommt die Frage hinter den Würsten hervor. Sie gilt dem Mann im besten Alter, bekleidet mit einem Blaumann und seinem namentlich nicht weiter erwähnten Begleiter. Beide holen sich etwas für die Brotzeit. "Du meine Güte, schießen mir wilde Gedanken durch den Kopf". "Hoffentlich hat sie sich die schriftliche Erlaubnis dieses Kunden geholt, seinen Namen in der Öffentlichkeit bekannt geben zu dürfen". Sicher aber ist sie als professionelle Teilzeitverläuferin fit in der DSGVO und hat all die nötigen Dokumente und Genehmigungen für ihre Worte in dieser Situation vorher ordnungsgemäß eingeholt.
Wenn ich nur daran denke, dass das früher normal war und an der Tagesordnung, dass der Name solcher bekannten Kunden einfach genannt wurde. Dazu die Information über seine heutige Arbeitstätigkeit am Samstag. Am Ende hätte sie auch noch verraten, dass er üblicherweise immer einen LKW kauft (Leberkäsweckla). Unverantwortlich, die Rechte an den Daten anderer Menschen so missbilligend zu behandeln. Gut, dass heute vieles besser ist.
Aber lange kann ich nicht darüber nachdenken, wie viel besser unser aller Leben jetzt nach der DSGVO ist, da trifft es mich selbst. Kopflos durch die vergangene Szene und eigene Gedanken irre ich durch die Regalreihen. Eigentlich bin ich auf der Suche nach Mehl. "Ah, der Achim, willst hier rein?" werde ich aus dem Gang, gefüllt mit ein paar Damen nebst Wägen, die sich über die Ereignisse der Woche unterhalten, gefragt. Ich hatte sie gar nicht gesehen, das ist ja die P. Naja jedenfalls weiß jetzt der ganze Laden, ob sie mich vorher schon kannten oder nicht, dass ich der Achim bin der hier einkauft. Die P. ist eine Liebe und ich verzeihe ihr diesen Missbrauch meiner intimsten und persönlichen Daten. Ob das aber auch ein möglicherweise vielleicht zufällig im Laden sich befindliches Mitglied eines Abmahnvereins auch tut?
Ich finde es allerdings schön, wenn man mich kennt. Man ist einfach nicht anonym hier. Man kennt sich eben.
Aber jetzt Schluss mit diesen düsteren Gedanken. "Wenn es bei euch Mehl gibt, dann ja" antworte ich gedankenverloren. "Das steht im anderen Gang" heißt es nur und so störe ich nicht weiter beim Plausch über Land und Leute und Nachbarn. Ich will auch gar nicht wissen, was hier für Datenschutzverletzungen stattgefunden haben mögen.
Gut, daß ich jetzt mein Mehl habe. Die Einkaufsliste ist abgearbeitet und ich schiebe zur Kasse. Mist, an den Zeitschriften muß ich stehen bleiben, die Schlang ist gerade etwas länger. Oh ein Magazin mit Omas Tips für den Haushalt, das macht mich neugierig. Und ein Gartenmagazin, das interessant ist. Wieder zwei Artikel mehr im Wagen. Ich schiebe weiter zum Kassen-Bändchen. Süß, wie im Kaufladen eigentlich. Aber es erfüllt seinen Zweck. Mein gelber Zettel mit Leergut kommt als erstes dran. Und ja, sie kann ihre Handschrift noch lesen. Ich zahle und schmunzle vergnügt in mich herein. Es ist Samstag und daher doch recht viel los. Hinter der Kasse steht eine Kollegin meiner Kassiererin. Sie hat einen Geldbeutel, wie die Bedienung im Gasthaus in der Hand und kassiert bei denen, die nur Getränke holen wollen. Dann geht es schneller, als wenn sie sich durch den Supermarkt schieben müssen und dann die Kassenschlange verlängern. Ist das nicht toll. Da wird mitgedacht und gelebt. Da haben alle was davon, wenn es unkompliziert und flexibel zu geht.
Der Einkauf ist rasch im Auto verstaut. Der Einkaufswagen ohne Pfand-Chip natürlich zurück gestellt und schon geht es heimwärts. Im Ort fegt eine ältere Frau den Bürgersteig. Wir haben ja Samstag. Viele Haustüren stehen offen obwohl niemand im Hof zu sehen ist. Passieren tut da trotzdem nichts. Und die Bewohner können hier vor Diebstahl sicherer sein, als durch all die Gesetzestexte einer Datenschutzverordnung, die einen Datendiebstahl ja ohnehin nicht verhindert.
Es ist ein Samstag Ende Mai und die Sonne scheint sommerlich warm. Ich genieße die wenigen Minuten der Heimfahrt durch unsere wunderschöne Landschaft mit den netten Menschen. Ich freue mich auf unser Haus und Garten, den Tag, die Arbeiten in Küche und Garten und natürlich auf die Feier mit Freunden heute Abend.
Glücklich und auch stolz denke ich, abermals in meinen Bart schmunzelnd, " I bin der Achim und do binni dahamm."